Perspektive. Ist alles meine Entscheidung?

Shownotes

Spaziergang 21: Perspektive. Ist alles meine Entscheidung?

Hallo und herzlich willkommen zu unserem Spaziergang hier am Rheinufer. Es ist hier wunderschön grün und sonnig, aber wahrscheinlich hörst du noch das Schiff hier im Hintergrund. Das ist gleich vorbei. Ja, schön, dass du hier wieder mit dabei bist, zum 21. Mal heute. Also wir haben unsere Drei-Wochen-Marke gemeinsam erreicht und ich bin sehr froh, dass du mit mir spazieren gehst.

Heute ist Sonntag und Sonntag steht ja immer bei uns im Zeichen der Philosophie. Und wie die letzten Wochen auch, kommt heute etwas von den Stoikern. Als Inspiration und die Stoiker haben wir ja letztes Mal schon besprochen über Entscheidungen. Also herauszufinden, wo ist eigentlich mein Entscheidungsraum? Und wo ist er nicht, diese Trennung? Und damals haben wir relativ simpel, in Anführungsstrichen, darüber nachgedacht, was ist denn grundsätzlich in meiner aktiven Entscheidung, zum Beispiel eine Situation zu akzeptieren oder zu sagen, ich kündige. Oder ich entferne mich aus der Situation oder was auch immer.

Häufig gibt es ja auch innerhalb der Situation noch Entscheidungsmöglichkeiten. Die sind, wie gesagt, ganz praktisch pragmatisch und brauchen erstmal noch gar nicht so viel philosophische Perspektive. Ja, genau, und um diese Perspektive geht es jetzt. Das ist nämlich ein unglaublich wichtiger Teil der stoischen Philosophie.

Und es ist so, ja, wenn man mal drüber nachgedacht hat, unglaublich einsichtig finde ich, diese Perspektive. Und ich will mal versuchen, dir die Idee der Perspektive etwas näher zu bringen an einem der Beispiele, die die Stoiker auch häufig bringen, nämlich den Vogelflug. Das ist eine ihrer typischen Übungen.

Das heißt, wenn ich jetzt so ein großes Obstacle vor mir habe, zum Beispiel einen großen Stein, ich will auf diesen Weg gehen und er ist ein riesiger Felsbrocken. Und vielleicht sind daneben auch noch ein paar Felsbrocken und ich habe das Gefühl, ich kann überhaupt nicht weitergehen. Nun jetzt habe ich verschiedene Möglichkeiten.

Ich kann mich zum Beispiel davor stellen und stehen bleiben und ihn immer weiter anstarren und denke mir, scheiße ich kann nicht weitergehen. Oder ich lege mich auf den Boden, ich gucke zur Erde und sehe auch nicht mehr. Jetzt sehe ich zwar den Stein nicht mehr, aber ich sehe halt auch nur den Erdboden und voran geht es auch nicht.

Dann gibt es die nächste Möglichkeit, ich kann mich auf den Rücken drehen und meinen Kopf zum Himmel bringen. Und jetzt kann ich eben, wenn ich da liege, mit dem Kopf nach oben Richtung Himmel den Himmel sehen. Und es ist schon mal zumindest eine andere Perspektive wortwörtlich. Und vielleicht fällt mir da ein Vogel auf.

Hier am Rhein gibt es ja ganz viele Möwen, also da würde ich mit Sicherheit eine Möwe sehen. Und dann kann ich mir überlegen, okay, wenn ich jetzt nicht von hier unten liegend den großen Felsbrocken dahinter mir ignoriere, sondern nach oben fliege und mal aus der Perspektive der Möwe schaue. Dann sieht der Stein ja schon vielleicht ganz anders aus.

Und tatsächlich, wenn ich nach oben fliege, kann ich vielleicht sehen, dass drei Steine weiter, in einem Winkel, der mir überhaupt nicht auffällt wenn ich davor stehe, tatsächlich eine Lücke ist. Und durch diese Lücke, durch die kann ich hindurch. Das ist die Grundidee der Perspektive, indem man einfach den Blickwinkel verändert.

Und ich erkläre dir das mal auch ganz praktisch an einem Beispiel von mir. Nach meinem Burnout, da habe ich ja schon von erzählt, also mein zweiter im letzten Sommer, wusste ich, dass ich einfach nicht wieder zurück in die Wirtschaft kann, weil die Gefahr einfach extrem hoch ist, dass ich genau das gleiche wieder erlebe.

Und da ich schon viele, viele Jahre gerne wieder in die Therapie wollte, war meine Entscheidung ziemlich schnell klar. Ich will wieder zurück in die Physiotherapie beziehungsweise irgendwann auch mal in die Osteopathie. Und ja, mein Lieblingsgebiet war immer die psychosomatische Physiotherapie. Also wollte ich da wirklich was machen, vorankommen.

Aber ich wollte nicht so das ganze Risiko noch nehmen, weil ich habe Familie. Und ja, eine Praxis aufzubauen ist ziemlich teuer und ziemlich schwierig. Und ich kenne eine ganz tolle Praxiseigentümerin und wir haben uns alles Mögliche überlegt, was wir machen könnten, weil sie genug Patienten hat und ich gerne was machen will.

Aber ich eben meine Autonomie, meine Selbstbestimmung sehr schätze und tatsächlich selbstbestimmt, komplett selbstbestimmt arbeiten möchte. Ja, dann haben wir hin und her überlegt, verschiedene Möglichkeiten uns angeguckt und sind immer gegen Wände gerannt. Egal wo wir hingeguckt haben, war das entweder durch die Kassen nicht erlaubt oder durch irgendwelche anderen Sozialträger mit Richtung Scheinselbstständigkeit.

Und jeder wird seine guten Gründe haben, dass es diese Regeln gibt. Für mich war es nur einfach sehr unpraktisch, denn das, was ich gerne wollte in dem Moment, war einfach nicht erlaubt. Ein bisschen Risiko aber nicht zu viel und möglichst viel Freiheit. Und nur ein steller Start. Das ging einfach nicht.

Punkt, aus, Ende. Und da war ich erstmal ziemlich frustriert. Bis ich dann mir überlegt habe, okay, ich wechsle jetzt mal die Perspektive und gucke mir das Ganze mal von meinem eigenen Purpose aus an. Und es war erstmal hart, weil ich mir überlegen musste… Wie die Situation denn von der Warte aussieht, die mir wichtig ist.

Was mir wirklich wichtig ist und wie ich dann am besten damit umgehen kann. Und am Ende blieb von dieser Perspektive aus nur eine Möglichkeit übrig. Denn ich will ja wirklich so arbeiten, wie es sich für mich richtig anfühlt zu arbeiten. Und da blieb eben einfach nur die Selbstständigkeit übrig. Und hey, ich habe draufgeguckt, was ich wirklich tun will und ich liebe ja die Natur und die Naturverbundenheit. Deshalb gehen wir ja hier immer so schön im Wald spazieren, außer heute, da haben wir gerade noch ein Schiff neben uns.

Und ich habe mir einfach gesagt, gut, dann halt draußen. Wenn die Investition für eine große Praxis oder überhaupt eine Praxis zu teuer ist und eigentlich mein größtes Problem und ich ja sowieso mit den Menschen in den Wald will, ja, warum mache ich das denn dann nicht? Gut, kommen wieder andere Komplikationen dazu mit Kassenzulassung und so geht dann alles nicht, aber ich darf ja trotzdem mit den Menschen arbeiten und für mich hat das, dieser Perspektivwechsel zu sagen, okay, was will ich denn wirklich und nicht, was ist jetzt gerade vielleicht die nächstgelegene Möglichkeit, sondern mal über den Tellerrand zu schauen und einfach drei Schritte weiter zu gehen in die Richtung, die ich eigentlich tatsächlich will.

Das hat mir unglaublich viel gebracht. Also nicht immer nur den Stein anstarren, sondern mal einen ganz anderen Blickwinkel einnehmen. Und genau, so eine kleine Inspiration von meiner Seite. Aber die Idee der Perspektive geht noch ein Stück weiter. Wenn die Stoiker über Perspektive reden, dann reden sie auch über meine innere Einstellung zu dem, was um mich herum passiert und auch was in mir passiert.

Ich kann mich ärgern über meinen eigenen Ärger oder ich kann ihn mit einem Lächeln nehmen. Ich kann mich darüber ärgern oder wütend sein oder traurig sein, was um mich herum passiert. Ich kann mich aber auch bewusst entscheiden, einen positiven Blickwinkel auf das zu haben, was um mich herum passiert und dann rede ich wirklich um die Emotionen, die es in mir auslöst.

Ich habe ja schon gesagt, Schmerz ist also eine ganz besondere Sache, weil es physiologisch an den verschiedensten Stellen Stellschrauben hat, aber trotzdem ist ja meine Perspektive, wenn ich Schmerz habe, meine eigene Perspektive. Dass ich den Schmerz habe, kann ich vielleicht nicht ändern. Aber welche Emotion ich gegenüber diesem Schmerz empfinde, das ist meine Entscheidung.

Genauso mit anderen Dingen im Leben. Egal was ich empfinde im ersten Moment und ich sage damit nicht, du sollst die Empfindung wegschubsen. Aber ich kann auch Wut empfinden und eine Perspektive einnehmen, in der ich sage, okay, ich bin jetzt wütend, aber ich brauche ja trotzdem nicht hier jetzt auszurasten.

Ich kann ja auch meine Wut mit einem gewissen Lächeln nehmen. Ist nicht so einfach, darf man üben, wenn man möchte. Aber tatsächlich gibt es auch die Perspektive in einem drin, bezüglich all dem, was wir selber empfinden. Und natürlich auch dem, was draußen ist. Ja, es gibt dieses schöne Beispiel in einem Buch, das verlinke ich euch auch unten, wo es um stoische Lebensweisheit geht.

Und da erzählt der Autor die Geschichte von jemandem, der ins Gefängnis kommt. Das ist einer Meinung nach zu Unrecht. Das stellt sich am Ende auch tatsächlich im Gericht heraus, aber erst viele, viele Jahre später. Und er sagt, die können mir alles nehmen, aber nicht meine eigene Würde. Ja. Das finde ich unglaublich mächtig und unglaublich toll zu sagen, auch hier geht eben diese Entscheidung, die ich habe, diese Perspektive auf die Unzerstörbarkeit meiner eigenen Würde, solange ich die weiter sehe und die Perspektive halte.

Genau wie ganz viele andere Emotionen oder grundsätzliche Eigenschaften. Nur weil um mich herum Schlechtes passiert, muss ich ja auch nicht meine Gütigkeit verlieren. Kann ich eine Perspektive einnehmen, in dem diese Gütigkeit, die ich in mir habe, trotzdem sinnvoll und relevant ist. Und so gibt es ganz viele Beispiele, wo die Perspektive auf das, was in uns drin ist, einfach einen riesigen Unterschied macht und uns erlaubt zu entscheiden.

Also die Dinge sind in unserem Entscheidungsraum, wie wir mit unseren inneren Bedürfnissen, wie wir mit unseren inneren Gefühlen, wie wir mit dem, was um uns herum geschieht umgehen, was wir in uns damit machen. Das ist immer in deiner und auch in meiner Entscheidungsfreiheit. Das heißt, wenn wir letztes Mal über Entscheidungsfreiheit gesprochen haben, dann war das ja erstmal eine praktisch pragmatische Idee über Entscheidungsfreiheit. Und ich hoffe, du siehst heute, dass die Idee viel weiter geht, wenn du Perspektive mit reinbringst, ob es rund um praktisch pragmatische Dinge wieder geht, also wie du auf die Entscheidung zu kündigen zum Beispiel, die letztendlich vielleicht im ersten Moment sich schwer anfühlt, aber mit anderer Perspektive vielleicht die größte Chance deines Lebens ist.

Oder auf das Gefühl, das in dir entsteht, wenn dein Chef das nächste Mal meckert oder ein Kollege doof ist und du eine andere Perspektive zu den Gefühlen einnimmst, die in dir entstehen, vielleicht eine liebevolle Perspektive und den Ärger liebevoll sacken lässt, auch das ist in deiner Entscheidungsfreiheit.

Ja, da ist verdammt viel in deiner eigenen Entscheidungsfreiheit, wenn nicht fast alles. Im Grunde sind nur ein paar von außen gegebene Dinge nicht in deiner Entscheidungsfreiheit und ja jetzt würde ich sagen, das ist das erste Mal, dass ich wirklich auch gar keine Frage dazu habe, ich glaube ich lasse das jetzt einfach so stehen, wenn du möchtest, darfst das mal durch den Kopf gehen lassen, dass im Grunde alles außer ein paar wenigen Dingen, die außen geschehen, komplett in deiner eigenen Entscheidungsfreiheit ist, wenn du die Perspektive wechseln zulässt. Damit verabschiede ich mich, wünsche dir einen wunderschönen Sonntag und freue mich, dich morgen wieder zu sehen.

Bis dann!

Literatur:

Holiday, R. (2014). The Obstacle is the Way: The Ancient Art of Turning Adversity to Advantage. Portfolio/Penguin.

Disclaimer:

Dieser Podcast ist ein virtueller Spaziergang und dient ausschließlich der Information und Inspiration. Die Inhalte stellen keine Psychotherapie, kein Coaching und keine professionelle Beratung dar und ersetzen diese auch nicht.

Alle hier formulierten Aussagen sind wissenschaftlich recherchiert. Die entsprechenden Referenzen und Quellen findest du im Anhang der Show Notes zu dieser Folge.

Ich übernehme keine Verantwortung für die Richtigkeit der wissenschaftlichen Aussagen oder deren Anwendung. Die Inhalte dieses Podcasts sind nicht als Anleitung zu verstehen, etwas Bestimmtes zu tun, sondern dienen rein der Inspiration und Anregung zum Nachdenken.

Bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen wende dich bitte an entsprechende Fachkräfte oder Beratungsstellen.

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