Alltagsstress. Laster auf der Landstraße = Höhlenlöwe?
Shownotes
Alltagsstress. Laster auf der Landstraße = Höhlenlöwe?
Hallo und herzlich willkommen hier zu unserem Spaziergang im Westerwald. Schön, dass du dabei bist. Heute geht es um die Frage, warum ich gestern statt einem Laster einen Tiger gesehen habe. Oder zumindest so getan habe, als ob da ein Tiger vor mir ist. Völlig unnötig natürlich. War einfach nur ein Laster auf einer kurvigen Landstraße und ich hatte einen Termin und war schon viel zu spät.
Was ist bei mir passiert?
Ich wollte eigentlich zu einer Entspannungssession und ich bin auch noch hingekommen, erzähle ich dir gleich noch. Aber ich habe mich so richtig gestresst gefühlt und selbst mein Versuch, eine andere Perspektive einzunehmen, war schwierig. Man darf ja immer an seinen eigenen Herausforderungen wachsen, aber in diesem Moment habe ich mich einfach gestresst gefühlt. Ich habe mich geärgert, dass der Laster jetzt meine Entspannungssession wegnimmt und ich zu spät komme und nicht mehr rein kann.
Und im Endeffekt kam ich noch an, habe mich tierisch beeilt, saß in der Session und war überhaupt nicht entspannt. Die ganze Session über nicht. Und das hat echt eine ganze Zeit gedauert, bis ich wieder halbwegs entspannt war. Interessanterweise ging es noch einem Teilnehmer so und da dachte ich, da muss ich mich doch mal drum kümmern um das Thema.
Alltagsstress ist ja was total Häufiges. Wie oft sind wir nicht im Verkehr unterwegs und ärgern uns? Wie oft ärgern wir uns nicht vielleicht über einen Kollegen? Oder sind wir gestresst, weil wir irgendwas schnell fertig machen müssen? Die Kinder müssen morgens zur Schule, irgendjemand hat was vergessen.
Ich glaube, du weißt ganz genau, was ich meine. Interessant fand ich, wie lange das angehalten hat. Vielleicht wurde es mir nur so bewusst, weil ich ja so eine Entspannungssession hatte und mal ganz genau auf meine eigene Spannung oder Entspannung geachtet habe. Ich hatte das Gefühl, dass nachdem ich angekommen war und mich umgezogen hatte und angefangen habe, mich zu entspannen, das bestimmt noch eine halbe Stunde gedauert hat, bis ich wieder recht entspannt war.
Und das hat mich verwundert. Der Stress war ja schon längst vorbei. Und das ist was, was ich so interessant fand, dass ich es mir mal genauer angeschaut habe. Denn natürlich kennen wir aus der Physiotherapie, dass man Stress hat und dass wir Menschen auch aktuell viel zu viel Stress haben, meistens chronischen Stress.
Aber warum bleibt das eigentlich so lange hängen? Der Laster war doch schon längst weg.
Die Sache ist die, dass wir von Natur aus natürlich ganz andere Arten von Stress hatten. Früher hatten wir da eine Schlange neben uns im Gebüsch und kein Päulchen, das jetzt irgendwie raschelt. Oder wir hatten einen Greifvogel über uns, einen, der uns auch vielleicht was tun kann. Und nicht so ein süßer Rotmilan, der hier immer in der Gegend rumfliegt. Oder wir hatten tatsächlich einen Höhlenlöwen, der uns angegriffen hat. Alles nicht so schöne Situationen.
Und da hat der Mensch vor allem gelernt, sich darauf vorzubereiten und lieber einmal mehr Alarm zu schlagen als einmal weniger, weil er dann eher überlebt und weil das in der Urzeit auch kein Problem war.
In der Urzeit, wenn ich Stress hatte, dann bin ich gerannt oder habe gekämpft oder habe mich vielleicht totgestellt. Aber meistens war es ja dann eher Kampf oder Flucht und dann habe ich die Energie, die mir zur Verfügung gestellt wurde durch diese Stressreaktion, auch direkt wieder abgebaut. Was war da mit mir in meinem Auto und dem Laster vor mir?
Ich habe gesessen. Ich war gestresst und habe gesessen. Und nichts da mit Stressabbau.
Nachher, als ich in der Entspannungssession war, ging der Stress dann auch langsam weg. Aber dass das noch so lange geblieben ist, hat noch einen zweiten Grund. Nämlich unser Körper hat nicht nur die Akutreaktion, die du vielleicht auch kennst - da geht dein Puls hoch und hast du eine eigentlich recht krasse Reaktion, ganz direkt.
Aber es gibt noch eine zweite Reaktion und vielleicht hat dir der Stoff schon mal was gesagt von Cortisol. Diese Cortisolreaktion ist später, die fängt erst nach ein paar Minuten an, die hält dafür aber auch eine ganze Zeit. Von Natur aus war das alles gut und richtig.
Da war das nämlich dazu da, dass wir direkt nach dem Kampf oder in der zweiten Phase des Kampfes genug Energie haben. Nochmal, eine ganz andere Energie, als wir haben nur von dieser allerersten Stressreaktion. Und es war auch dann dazu da, dass wir trotz Verwundungen und Problemen nicht direkt gestorben sind, sozusagen. Sondern das war eine ganz, ganz wichtige Reaktion unseres Körpers und heutzutage ist genau dieses Cortisol das, was mich in meiner Entspannungssession gestört hat.
Wir Menschen sind halt nicht wirklich für unsere heutige Zeit gemacht und dadurch, dass wir uns nicht bewegen, den Stress nicht rausrennen oder rauskämpfen sofort, wenn er entsteht und der Stress halt auch ganz oft kommt, sogar schon, wenn man nur dran denkt. Denken an eine stressige Reaktion löst bei Menschen schon die Stressreaktion auch wirklich im Körper aus.
Eigentlich eine total super Sache, wenn ich denke, da könnte eine Schlange sein. Brauche ich sie noch nicht mal gesehen oder gehört zu haben, dann kommt die Stressreaktion und im besten Fall rettet sie mir das Leben. Aber halt nicht mit einem Laster vor mir. Und ich habe nicht versucht, ihn zu überholen. Das wäre dann tatsächlich, wenn da ein Auto im Gegenverkehr wäre, eine sehr gefährliche Stressreaktion. Wir haben die ja auch heute noch.
Aber einfach nur der Laster, der da vor mir war. Und meine Einstellung dazu, dass mich das geärgert hat, weil der Laster mir vielleicht meine Entspannungssession weggenommen hat, das wäre eigentlich überhaupt nicht nötig gewesen.
Das heißt zusammengefasst, unsere Stressreaktion ist was ganz Natürliches, ist was Richtiges, was Gutes, besteht aus einem kleinen akuten Teil, der geht ganz schnell innerhalb von Sekunden, und einem, der länger wirkt, der kommt erst nach ein paar Minuten und wirkt dann auch bis zu einer halben Stunde durch.
War ja auch genau das, was ich dann erlebt habe. Und früher haben wir gerannt oder gekämpft, um die Stoffe im Körper wieder loszuwerden oder beziehungsweise sie wurden los, weil wir gerannt sind. Und heute kommt es halt eher vor, dass die Stoffe länger als nötig im Körper bleiben, weil wir meistens nicht rennen, wenn der Chef uns gerade halb anpflaumt oder wir denken, dass der Chef uns gleich anpflaumt.
Das bringt mich nochmal zurück zum Sonntag und den Perspektiven. Ich meine, mir ist es auch nicht so richtig gut gelungen in der Situation. Ich werde weiter üben. Ich werde üben und versuchen, in dem Moment eine andere Perspektive einzunehmen und mich gar nicht stressen zu lassen. Tatsächlich ist das auch eine der besten Methoden, die man machen kann.
Abgesehen tatsächlich von Entspannungsmethoden - habe ich danach dann auch nochmal das Richtige gemacht. Oder eben tatsächlich körperlicher Betätigung, um den Stress wieder loszuwerden. Aber dieser Perspektivwechsel hilft vor allem, um erst gar nicht in die Situation zu kommen, dass es uns heute so stresst in Situationen, die ja überhaupt nicht lebensgefährlich sind und trotzdem Stress machen.
Das war so meine kleine Info über Alltagsstress, dass es eigentlich zurückgeht auf den Urstress des Überlebensinstinktes. Wir den halt einfach nur ganz oft erleben und er nicht passt zu unserer Umgebung. Das bringt mich zu meiner Frage, nämlich was hilft dir denn, um erst gar nicht gestresst zu werden?
Oder wenn du schon gestresst bist, um den Stress wieder abzubauen? Das habe ich mir gestern auch überlegt und bin da auf einige Ideen gekommen. Und vielleicht hilft es dir ja auch mal darüber nachzudenken.
Ich wünsche dir einen wunderschönen, hoffentlich total entspannten weiteren Spaziergang. Und ich freue mich, dich morgen wieder zu sehen.
Mach's gut!
Literatur:
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Disclaimer:
Dieser Podcast ist ein virtueller Spaziergang und dient ausschließlich der Information und Inspiration. Die Inhalte stellen keine Psychotherapie, kein Coaching und keine professionelle Beratung dar und ersetzen diese auch nicht.
Alle hier formulierten Aussagen sind wissenschaftlich recherchiert. Die entsprechenden Referenzen und Quellen findest du im Anhang der Show Notes zu dieser Folge.
Ich übernehme keine Verantwortung für die Richtigkeit der wissenschaftlichen Aussagen oder deren Anwendung. Die Inhalte dieses Podcasts sind nicht als Anleitung zu verstehen, etwas Bestimmtes zu tun, sondern dienen rein der Inspiration und Anregung zum Nachdenken.
Bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen wende dich bitte an entsprechende Fachkräfte oder Beratungsstellen.
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