Macht. Macht Macht Menschen asozial?
Shownotes
Spaziergang 32: Macht. Macht Macht Menschen asozial?
Hallo und herzlich willkommen heute bei unserem Spaziergang durch den Westerwald. Ich bin ein bisschen spät, die Sonne geht da hinten schon wunderschön rot unter, aber ich habe heute relativ lange recherchiert. Und zwar zu einem ganz besonderen Thema, was hier fast jeden betrifft - zumindest jeden, der in irgendeiner Form einen Chef hat oder selber Chef ist. Und das Thema ist Macht. Was macht Macht mit uns Menschen? Was passiert, wenn wir in eine Machtposition kommen?
Und ja, man sagt ja "Macht korrumpiert", aber ganz so einfach ist das nicht. Man könnte eher zusammenfassen: Macht bringt einen ein ganz kleines bisschen in eine asoziale Persönlichkeitsstörung.
Okay, ich glaube das klingt jetzt noch schlimmer als "Macht korrumpiert", ist aber ein klein wenig akkurater. Wieso? Weil man das wunderbar wissenschaftlich untersucht hat. Ich bin auch froh darum, sonst könnte ich das ja gar nicht so gut hier erklären. Man hat untersucht, was eben mit Menschen passiert, wenn sie Macht bekommen.
Und zwar hat man das möglichst probiert, ohne dass die Menschen vorher schon miteinander in einer Machtposition waren. Man hat random drei Leute ausgewählt, beziehungsweise eine große Menge an Menschen ausgewählt und sie immer in Dreiergruppen gepackt. Und dann hat man random einem der drei, die zusammen am Tisch saßen, das Kärtchen "Chef" gegeben.
Der war der Leiter und die anderen beiden waren sozusagen die Mitarbeiter. Dann hat man den Leuten einen Keksteller hingestellt. Auf dem Keksteller waren fünf Kekse. Im Schnitt war am Ende nur noch einer übrig. Bedeutet, im Schnitt hat einer der Leute wahrscheinlich zwei Kekse gegessen. Das hat man sich jetzt ein bisschen genauer angeguckt und festgestellt, dass meistens derjenige, der die zwei Kekse gegessen hat, derjenige war, der zufällig randomisiert dieses Chef-Kärtchen bekommen hat.
Krass oder? Und dann hat man auch noch festgestellt, dass die Leute zu Krümelmonstern wurden. Es war ihnen anscheinend relativ egal, wie sorgfältig sie diesen Keks gegessen haben. Mal gucken, ich weiß nicht, wie haben eigentlich meine Chefs gegessen? Die, die ich mich erinnern kann, eigentlich ganz ordentlich.
Na gut, scheint nicht auf jeden Chef zu treffen. Aber in dem Experiment war das so, dass die Leute, die dieses Kärtchen - und denkt dran, es war nicht jemand, der vorher schon in dieser Chef-Rolle war, sondern sie haben random diese Kärtchen bekommen - der, der das Chef-Kärtchen bekommen hat, wurde zum Krümmelmonster und hat sich einfach mal zwei Kekse gegönnt. Zumindest im Durchschnitt.
Und damit ist nicht genug. Im nächsten Experiment haben andere Wissenschaftler Leute in ein altes Auto gesetzt, über eine Straße fahren lassen, da war eine Person, die am Zebrastreifen steht, und fast alle haben sie rüber gelassen. Man hält an, man wartet, man lässt die Person rüber und fährt weiter.
Dann haben sie die gleichen Leute in ein dickes Auto gesetzt, so einen richtig dicken SUV, so tolle Marke, super Protz-Ding, und dann haben sie die wieder losgeschickt. Gleiche Situation: sie fahren über eine Straße und vor ihnen will eine Person über den Zebrastreifen. Und wenn ich mich recht erinnere an das, was ich vorhin gelesen habe, dann haben 45 Prozent - lass dir das mal auf der Zunge zergehen - 45 Prozent, fast die Hälfte der Leute, nicht angehalten.
Kleines Auto, Klapperkiste: halten sie an. Sobald sie sich mit ihrem Hintern im dicken Auto verkriechen, hält fast die Hälfte nicht mehr an, obwohl die Situation ja die gleiche ist. Da scheint irgendwas im Kopf der Menschen zu passieren. Das wollen wir natürlich bitte nicht - alle Fahrer von dicken Autos verurteilen - aber irgendwas ist da ja los. Irgendwas mit der Psyche scheint zu passieren.
Und die Frage ist: wo passiert das eigentlich? Dazu hat man jetzt auch wieder in einem anderen Experiment ganz viele Leute in einen Hirnscanner gesteckt und hat wieder möglichst randomisiert ihnen verschiedene Rollen zugeteilt und verschiedene Aufgaben gegeben und dabei ihren Kopf untersucht.
Normalerweise sind wir Menschen sehr, sehr gut darin, andere Menschen zu spiegeln. Das nennt man dann auch Empathie. Das heißt, wenn jemand Schmerzen hat, Probleme hat, traurig ist, wütend ist, dann können wir das mitfühlen. Dann fühlen wir im Grunde auch seinen Schmerz oder seine Thematik. Das ist total wichtig, wenn wir mit anderen Menschen in einer Gruppe sind und gemeinsam Probleme lösen wollen, gemeinsam füreinander da sein wollen. Und das ist eine ganz, ganz wichtige Eigenschaft für uns Menschen, die Empathie.
Und was hat man jetzt in diesen Scannern festgestellt? Die Menschen, die in eine Machtsituation gekommen sind, hatten viel weniger Spiegelung im Kopf. Diese Spiegelneuronen, wie man die nennt, haben einfach viel weniger aufgeleuchtet.
Wow, ich finde das echt krass. Ich finde es krass, dass die reine Idee, das einfach nur Wissen, das Kärtchen oder eine Aufgabe, in der ich eben mir vorstelle, Macht zu haben, dazu führt, dass ich wesentlich unempathischer werde. Das war kein kleiner Unterschied, das war echt ein heftiger Unterschied. Das heißt, da passiert echt extrem viel bei uns.
Und jetzt kommt das Interessante: es geht nämlich noch weiter. Das waren so die Experimente, die man im Labor gemacht hat. Daraufhin hat man auch noch Leute im Feld untersucht, wirkliche Teams mit einem, der mehr Macht hat, andere, die weniger Macht haben und so weiter. Und dabei konnte man Folgendes feststellen:
Die in einer Machtposition sind, beharren wesentlich mehr auf das Einhalten der Regeln - bei ihren Untergebenen wohlgemerkt, die sollen die Regeln einhalten - während die Untergebenen eher drüber nachdenken, welche Konsequenzen das für sie und die anderen hat. Und nicht, ob das jetzt spezifisch die Regel ist, sondern ob das grundsätzlich und auch langfristig was Gutes ist.
Und jetzt wird es noch interessanter. Wenn Chefs nämlich an sich selber denken, dann wird das Ganze im Grunde fast schon umgedreht. Nee, noch krasser: es wird nicht mal umgedreht, sondern sie neigen dazu, Regeln zu übertreten. Die Nettigkeit, sich ausreden zu lassen oder einen respektvollen Umgang miteinander.
Man hat in diesen empirischen Studien im Feld festgestellt, dass Leute in Chef- oder Führungspositionen, die Macht haben über andere, dazu neigen, andere, vor allem Untergebene, zu unterbrechen und auch zu demütigen. Ich finde das echt heftig.
Aber wie kann das denn sein? Es muss ja irgendeinen Grund geben, dass wir Menschen so reagieren. Ich bin ja immer noch der Meinung, der Mensch ist im Grunde gut - haben wir ja diese Woche auch schon drüber geredet. Wie kann es dann sein, dass der Mensch, wenn er Macht bekommt, zu solchem Handeln neigt?
Und da möchte ich gerne mit dir nochmal zurückreisen in die Altsteinzeit, mal eben 30.000, 40.000 Jahre zurück. Denn irgendwo muss das ja herkommen. Und in der Altsteinzeit hatten wir ja sehr homogene, sehr gleichberechtigte Gruppen und keiner hat eigentlich - so geht die Forschung zumindest von aus - längerfristig die Rolle eines Herrschers gehabt. Das heißt, in diesen 40, im Grunde 300.000 Jahren sogar, die wir als Menschen hier auf der Welt und 40.000 in Europa gelebt haben, da kannten wir sowas wie einen langfristigen Anführer gar nicht.
Man sieht das bei heutigen Jäger-Sammler-Gesellschaften: die Leute, die sich hochnäsig - jetzt bringe ich es schon durcheinander - die sich hochnäsig verhalten, die sich für etwas Besseres halten, dass die aus Gruppen sogar ausgeschlossen werden. Das heißt, im Grunde neigen wir Menschen nicht dazu, Leute an der Macht zu lassen, die die Macht missbrauchen.
Und jetzt wird es noch interessanter: wenn man nämlich auch in unserer heutigen Zeit wieder in Experimenten untersucht, wen Menschen zu ihrem Anführer wählen, wenn sie das denn müssen, dann suchen sie sich normalerweise den aus in der Gruppe, der am empathischsten und am sozialsten ist und sich am besten um diese Gruppe kümmert.
Ja, jetzt könnte man sagen, okay, eigentlich müssten doch alle Chefs so super empathisch sein. Wie kann es dann mit diesem Machen? Was hat das dann auf sich?
Ich denke - und das ist jetzt nur eine Conclusion von mir - wenn man diese beiden Ergebnisse zusammenzieht, auf der einen Seite eine Gesellschaft, in der es eigentlich keine Anführer gibt, zumindest nicht für längere Zeit, und wenn, dann nur für Notsituationen. Und wie wir in Experimenten heutzutage noch herausgefunden haben: Neigen wir dazu, jemanden, der besonders sozial und empathisch ist, zum Chef zu wählen, zum Anführer.
Klar, er sollte vielleicht auch fit und groß und stark sein, wenn das nötig ist, aber er sollte auf jeden Fall auch empathisch sein und gutherzig sein. Das bedeutet: für so jemanden in einer Situation, in der das Team, die Familie, die Gruppe überleben muss, ist es unglaublich wichtig, dass er etwas weniger empathisch wird, um vielleicht Situationen meistern zu können, in denen es viel Schmerz und viele Probleme gibt.
Wenn er dann zu empathisch ist - und wie gesagt, das ist jetzt nur meine Conclusion, aber ich finde sie selber sehr schlüssig - dann könnte es sein, dass er seinen Job nicht machen kann. Das würde erklären, warum schon so schnell und kurzfristig dieser Empathieverlust auftritt und warum es in der früheren Zeit gar kein Problem war. Denn sobald das Problem vorbei war - weiß ich nicht, der Vulkanausbruch um die Ecke und wir müssen fliehen oder keine Ahnung was sonst - wenn wir weit genug weg sind, dann brauchen wir die Rolle des Chefs ja nicht mehr, dann wird er abgesetzt und schon ist wieder alles beim Alten und alles gut.
Ist aber in unserer heutigen Zeit nicht so. In unserer heutigen Zeit - und das geht schon verdammt lange so, im Grunde seit der Neusteinzeit - gibt es längerfristige Herrscher. Und diese längerfristigen Herrscher bleiben in ihrem Amt, verstärken ihr Amt, ziehen noch andere in ihr Amt oder in unterlegene Rollen hinein. Ich sag mal, der Firmengründer zieht Leute dann ins Mittelmanagement rein und so weiter. Und will natürlich, dass diese Leute in seinem Sinne handeln. Man kann Macht weiter ausbauen.
Ja, ich glaube, das lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Die Situation ist anders, als es sich in der Altsteinzeit entwickelt hat. Und diese Neigung des Empathieverlustes, des Widerstands… ganz, ganz viele Kriterien der - ja, es klingt echt hart - der asozialen Persönlichkeitsstörung hervorbringt, natürlich nur in kleinem Maße.
Bitte geh jetzt nicht zu deinem Chef und sag, du hast eine asoziale …. Nein, nein! Außerdem gilt das ja auch nicht für jeden. Aber wenn man sich diese Züge, die durch Macht bei Menschen entstehen, genau anguckt, dann geht das tatsächlich in diese Richtung, so krass wie es klingt. Irgendwann scheint das einen Sinn gehabt zu haben, heute bin ich fest überzeugt, hat das keinen Sinn mehr.
Und ja, das wäre es zur psychologischen Sicht auf das Thema Macht und was Macht mit Menschen macht.
Jetzt kommt die Frage an dich: die Frage des Tages ist passend zu dem Thema natürlich, was machst du in deiner Rolle, in deiner Situation, um eine gute Führungsposition, eine gute Führungsrolle zu haben?
Und ich meine, Führungsrollen und Macht sind ja in ganz, ganz vielen Situationen. Ich meine, das muss ja nicht mal in der Firma sein, das kann auch in einem Verein sein, das kann auch in der Familie sein. Die Eltern haben ja immer eine gewisse Machtposition gegenüber den Kindern, obwohl ich wirklich hoffe, dass diese Züge in der Situation nicht nach oben kommen, bei keinem von uns.
Aber auch andere Situationen, in denen wir Macht haben. Ich glaube, Paulchen läuft da vorne. Ich als Hundehalter habe ja auch eine gewisse Machtposition ihm gegenüber. Wie schaffst du es, in deiner persönlichen Machtposition, deine Empathie, dein Mitgefühl und deinen klaren Kopf zu bewahren?
Ja, danke, dass du mit dabei warst. Ich fand es einen wunderschönen Spaziergang. Jetzt wird es hier echt dunkel im Wald. Ach, das ist ja schön, da ist immer noch ein Vögelchen. Gleich kommen bestimmt die Rehe, da muss ich auf Pauli aufpassen.
Ich finde es sehr schön, dass du mit dabei warst, und ich hoffe, dich morgen in den Niederlanden wiederzusehen, wenn wir durch die Römerzeit spazieren.
Mach's gut!
Literatur:
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Disclaimer:
Dieser Podcast ist ein virtueller Spaziergang und dient ausschließlich der Information und Inspiration. Die Inhalte stellen keine Psychotherapie, kein Coaching und keine professionelle Beratung dar und ersetzen diese auch nicht.
Alle hier formulierten Aussagen sind wissenschaftlich recherchiert. Die entsprechenden Referenzen und Quellen findest du im Anhang der Show Notes zu dieser Folge.
Ich übernehme keine Verantwortung für die Richtigkeit der wissenschaftlichen Aussagen oder deren Anwendung. Die Inhalte dieses Podcasts sind nicht als Anleitung zu verstehen, etwas Bestimmtes zu tun, sondern dienen rein der Inspiration und Anregung zum Nachdenken.
Bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen wende dich bitte an entsprechende Fachkräfte oder Beratungsstellen.
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