Willensfreiheit. Hast du einen freien Willen?

Shownotes

Spaziergang 40: Willensfreiheit. Hast du einen freien Willen?

Hallo und herzlich willkommen zu unserer 40. Folge Walk & Talk mit Ida. Schön, dass du wieder dabei bist. Vielleicht hörst du es schon an meiner Stimme: Ich bin heute nicht im Wald, sondern hier bei mir im Arbeitszimmer, und du bist sozusagen gemütlich mit dabei.

Heute ist wieder Sonntag, unser Philosophietag, und das ist auch der Grund, dass ich dich mit ins Arbeitszimmer genommen habe, weil ich dir tatsächlich etwas über die Geschichte der Philosophie erzählen möchte und da brauche ich heute tatsächlich meinen Laptop dazu, dass ich dir das alles auch richtig erzähle.

Aber keine Sorge, es ist keine große Reise, denn es soll nur der Einstieg sein in unser Thema Willensfreiheit und Handlungsfreiheit, über das wir ja auch Freitag und Samstag schon geredet haben. Freitag war eine Folge, wo es um das Thema Priming ging. Und Priming heißt: Reize von außen beeinflussen, wie wir handeln und wie wir denken, wie wir fühlen.

Und das ist etwas ganz Universelles, und mir war es ganz wichtig, das als erstes dir mitzubringen, denn es zeigt auch anhand von psychologischen Studien, dass es sehr großen Einfluss auf unser Handeln, auf unseren Willen hat - sowohl auf die Handlungsfreiheit als auch auf die Willensfreiheit.

Gestern haben wir dann über Stereotypen gesprochen, ein ganz besonders starkes Priming auf uns Menschen, meistens aus der Gesellschaft, und ich habe dir von Emilia Earhart erzählt, die sich dagegen gestellt hat, die against all odds eben ihren Weg gegangen ist, trotz aller Stereotypen, die da in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts geherrscht haben.

Und ich hoffe, dass ich dich jetzt heute auf einen kleinen Spazierweg, einen philosophischen Spazierweg mitnehmen kann und dir am Ende auch ganz praktisch pragmatisch anhand des Systems der inneren Familie, was wir ja schon öfter mal angesprochen haben, verstehst, warum das mit unserer Willensfreiheit und unserer Handlungsfreiheit manchmal gar nicht so einfach ist.

Einleitung genug, starten wir in die Welt der Philosophie, und die beginnt diesmal wie so oft im alten Griechenland.

Damals kannte man nämlich die Idee der Willensfreiheit noch gar nicht. Damals ging es den Philosophen um die Handlungsfreiheit und die Frage, ob man ohne Einschränkungen von Gesetzen oder äußeren Einflüssen frei handeln kann. Das war alles, was sie im ersten Moment interessiert hat, und da ging es um die Frage, ob man im Gefängnis sitzt oder nicht und so weiter.

Interessant wird es dann bei den Stoikern. Über die Stoiker haben wir ja schon sehr viel gesprochen in den letzten philosophischen Spaziergängen. Die Stoiker waren vor allem aus dem Römischen Reich bekannt, und bei denen fing es dann an, dass sie der Meinung waren: Das Äußere, alles was von außen kommt, ist erst mal vorgegeben, und unsere Handlungsfreiheit, unsere Macht liegt in unserem Inneren, in dem, wie wir uns entscheiden wollen mit den äußeren Gegebenheiten umzugehen.

Sie haben in keinster Weise gesagt, dass man nichts tun kann, aber es gibt ihrer Meinung nach sehr viel, was von außen vorgegeben ist. Einer der Stoiker ist als Sklave aufgewachsen und hatte dadurch natürlich auch ein sehr heftiges Erlebnis in seinem Leben, was es bedeuten kann, wenn von außen alles, was dein Leben betrifft, vorgegeben ist, du aber im Inneren trotzdem dir die Freiheit behalten kannst.

Eine ganz spannende Zeit, was das betrifft. Und es geht auch spannend weiter, denn als das Christentum aufkam, war es schwierig für die Menschen. Auf der einen Seite wollten sie argumentieren, dass der Mensch als moralisches Wesen einen freien Willen haben muss, um auch potenziell Schlechtes zu tun.

Sie mussten irgendwie argumentieren, wie es sein kann, dass etwas Schlechtes ist - der Einfluss des Teufels sozusagen. Und da musste der Mensch ja selbst für bestraft werden. Und das kann er nur, wenn er moralisch verantwortlich ist. Fingen sie an zu sagen: Der Mensch hat eine freie Entscheidung.

Aber ganz so einfach war es nicht, insbesondere später. Unter Luther ging es auch wieder in die andere Richtung. Luther zum Beispiel war der festen Überzeugung, dass alles von Gott gegeben ist und wir nur von der Gnade Gottes abhängig sind. Da hat sich im Laufe der Zeit einiges getan, und die Idee, ob wir einen freien Willen haben und ob wir eine freie Handlung haben, hat sich, wie du siehst, anhand der historischen Gegebenheiten immer wieder verändert.

Jetzt sind wir aber nicht mehr in der Frühzeit des Christentums oder bei Luther, und auch später hat sich noch viel getan. Hobbes, den du ja schon kennst aus der Frage, ob der Mensch gut ist oder nicht - er hat ja damals gesagt, der Mensch ist vom Naturzustand her nicht gut - der hat aber durchaus die Handlungsfreiheit des Menschen betont.

Hobbes - jeder Philosoph hat ja verschiedene Ecken - er war durchaus der Meinung, dass wir eine Handlungsfreiheit haben. Ein weiterer Verfechter der Willensfreiheit ist dann später Leibniz gewesen, und auch Kant hat mit seinem Imperativ, falls dir das was sagt, ganz stark auf die Willensfreiheit gepocht.

Und umso weiter wir in der Zeit voranschreiten, umso mehr geht es nicht mehr um die christliche Frage der Willensfreiheit, sondern geht es zu psychologischen Experimenten, wie ich sie dir eben Freitag schon mal angerissen habe, wie ich auch gestern schon noch mal von den Stereotypen erzählt habe, dass Mädchen zum Beispiel massiv beeinflusst sind in ihrer Wahl in Bezug auf Mathematik oder auch Physik. Und dann natürlich auch wieder die Frage ist: Wenn uns Priming, wenn uns Stereotypen so stark beeinflussen, wie frei sind wir denn dann?

Aber wie du an Emilia Earhart siehst, scheint das ja nicht für jeden zu gelten.

Es gibt einen ganz besonderen Philosophen, der sich in den letzten Jahren, in den 90er und 2000er Jahren, sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Und das ist Harry Frankfurt. Und Harry Frankfurt bringt tatsächlich die Handlungsfreiheit und die Willensfreiheit auf die Frage: Wie frei sind wir zu wollen, was wir wollen?

Jetzt sind wir an einem ganz wichtigen Punkt. Wie stark kann ich beeinflussen, was ich will? Denke an Stereotypen, denke an Priming.

Und die Antwort, die ich dir jetzt geben möchte darauf - ich will dich auch nicht länger auf die Folter spannen, wie ich darüber denke - kommt eben wieder aus der Psychologie, aus der Psychotherapie.

Freiheit zu wollen, was man will, endet in der Diskussion mit Harry Frankfurt an der Stelle, dass er sagt, das Ganze muss aus einer Ganzherzigkeit kommen, aus einer Großherzigkeit. Er kann aber nicht weiter definieren, wo sein Schlüssel liegt, wie er diese Ganzherzigkeit am Ende auflöst.

Wie er es schafft, das, was von außen ist, eine vielleicht nicht immer gegebene Handlungsfreiheit, mit aber einer von ihm postulierten Willensfreiheit, die möglichst gegeben sein sollte, nämlich dann, wenn man wollen kann, was man will - jetzt wird es aber ganz schön um die Ecke.

Um dieses Thema, sein Thema der Ganzherzigkeit, der Großherzigkeit aufzulösen, kommt, wie gesagt, das System der inneren Familie ins Spiel.

Im System der inneren Familie ist es so, dass man von einem Selbst, einem inneren Kern ausgeht, der niemals kaputt gehen kann, der immer da ist und der immer positive Werte vertritt. Das ist zum Beispiel Ruhe, das ist aber auch Verbindung zu anderen Menschen, Connectedness, das ist auch Curiosity, Neugier, das ist Consciousness, bewusst anwesend sein, das ist aber auch das Thema, dass wir liebevoll umgehen, mitfühlend sind.

Und wenn das die innersten Werte sind, dann ist noch die Frage: Warum handeln wir nicht immer danach? Diese Großherzigkeit, diese Ganzherzigkeit kann man sehr schön mit diesem Selbst, das im IFS beschrieben wird, zusammenbringen. IFS ist das System der inneren Familie.

Aber wie ist das denn dann? Warum tun wir Menschen denn dann immer wieder Dinge, die nicht diesen innersten Werten entsprechen? Das ist ja auch genau die Frage, die Harry Frankfurt aufgebracht hat. Warum wollen - wenn wir wollen, etwas zu wollen - es aber trotzdem nicht umsetzen? Warum? Denke an jemanden, der sehr viel Alkohol trinkt oder der raucht und der sich schon lange vornimmt: "Eigentlich will ich ja aufhören." Er hat den Willen, nicht mehr zu wollen, nicht mehr trinken zu wollen, und trotzdem geschieht es nicht, trotzdem setzt er das nicht um. Trotzdem ist der Wille zu trinken oder zu rauchen stärker, oder dass man wieder sauer wird auf jemanden, dass man wieder rumbrüllt, obwohl man es ja eigentlich nicht mehr will.

Und hier kommt der andere interessante Aspekt des Systems der inneren Familie mit rein. Nämlich dass wir ja auch Teile haben.

Du kannst dir übrigens auch gerne mal die Folge mit dem Titel "Teile" anhören. Die habe ich, glaube ich, vor zwei Wochen mal gemacht. Ich glaube, es war am Montag. Da wird das noch genauer erklärt, aber ich versuche es dir jetzt trotzdem nochmal ein bisschen zu erklären.

Man hat nicht nur sein Selbst, sondern man hat sehr viele Teile, und das ist alles gut und richtig, und alle Teile wollen nur Gutes. Aber manche von den Teilen sind schon in der Kindheit oder später traumatisiert - sie haben diese Traumata, die man erlebt, aufgenommen und mitgenommen und versuchen uns aus damals zu schützen, indem sie das aufgenommen haben, aber halt leider immer noch weitertragen. Und dann haben wir andere Teile, die wieder versuchen uns zu beschützen, indem sie dafür sorgen, dass diese Traumata nicht wieder hochgespült werden, nicht wieder uns belasten.

Das können entweder Manager sein, die uns immer wieder zu Handlungen bringen, präventiv - das sind nicht immer gute. Das kann zum Beispiel ein innerer Kritiker sein, das kann der innere akkurate Pedant sein, das kann aber auch der innere Trinker sein, der durch das Trinken verhindern will, dass wir überhaupt in eine Situation kommen, dass wir uns schlecht fühlen.

Es gibt aber auch Feuerbekämpfer - diese Feuerbekämpfer treten auf, wenn - ach wie süß, da klopft eines meiner Hühner an der Scheibe. Hier im Arbeitszimmer ist auch immer was los.

Auf jeden Fall, diese Brandbekämpfer, die versuchen dafür zu sorgen, dass wenn ein unangenehmes Gefühl aus diesen Exiles hochkommt, aus einem alten Trauma, dass man es so schnell wie möglich wieder vergisst. Das kann auch der Griff zur Flasche sein, das kann aber auch ein Sich-Ablenken mit Fernsehen sein, das kann ein irgendwas anderes Hirnloses tun, das kann aber auch ein Sich-Aufregen, jemanden anderen Nerven sein - Hauptsache, man denkt nicht mehr an dieses traumatische Gefühl.

Und jetzt kommt die Beantwortung: Warum, obwohl wir wollen, nicht mehr zu wollen… Was entweder aus einem unserer Beschützer herauskommt oder vielleicht auch die ursprüngliche Grundlage des Selbstes ist - dass wir zum Beispiel Ruhe gerne hätten, dass wir gerne in Verbindung sind mit anderen - und trotzdem kommen immer wieder Teile, die es eigentlich gut meinen, bitte verstehe das nie falsch, aber die das boykottieren.

Ich suche eigentlich Ruhe, aber da ist ein innerer Kritiker, der mich ständig kritisiert. Er meint es gut, trotzdem kritisiert er mich, weil es sein Weg ist, mein Bestes zu wollen. Und durch den inneren Kritiker fühle ich mich immer wieder schlecht, mache wieder andere Dinge, gehe aus oder mache whatever ich tue, um diesem inneren Kritiker zu entkommen. Und mein eigentlicher Wunsch nach Ruhe, vielleicht nach einer positiven Verbindung mit Menschen, der kann dadurch schwerlich zustande kommen.

Das heißt: Es ist nichts Böses, was am Ende dafür sorgt, dass das, was wir tun… Die Willensfreiheit sich nicht in der Handlungsfreiheit wiederfindet. Obwohl wir häufig Dinge ändern können und wir vielleicht auch Dinge ändern wollen, können die inneren Teile uns so weit aufhalten, dass wir es trotzdem nicht tun.

Da kommen dann übrigens auch die Stereotypen und das Priming wieder rein, insbesondere die Stereotypen, die ein besonders starkes Priming darstellen. Die können sich in diesen Teilen festsetzen, die können von denen genutzt werden, zum Beispiel um uns von etwas abzuhalten - sie manifestieren sich im Grunde in diesen Teilen, die ihr Bestes tun, um uns zu beschützen, aber sie sind für uns trotzdem hinderlich.

Auch so ein Priming, gerade diese ganz kleinen, feinen Priming-Effekte, die kommen meistens davon, dass wir auf etwas reagieren - das ist dann… Die setzen keinen neuen Teil in uns, aber Teile von uns, die eben davon getriggert werden, die darauf reagieren. Und wenn das eben ein Manager-Teil ist, dann wird er entsprechend auch versuchen, uns zu managen und in eine bestimmte Richtung zu bringen.

Und wenn das ein Geruch ist, der dann vielleicht dafür sorgt, dass wir plötzlich super viel einkaufen müssen, dann hat das Priming im Supermarkt funktioniert.

Das ist ein kleiner Abriss über die Psychologie und die Philosophie, und ich hoffe, du hast verstanden, dass sich die Philosophie immer wieder geändert hat, obwohl die Psychologie dahinter vielleicht immer die gleiche war. Man hat nur die Interpretation passend zum Weltbild geändert.

Und daher hoffe ich, dass du sehr viel Willensfreiheit und sehr viel Handlungsfreiheit für dich hast.

Ich glaube, das war so viel, dass ich das einfach mal auf dich wirken lasse und es heute mal keine Frage gibt - die gibt es morgen wieder.

Mach's gut und hab einen schönen Sonntag. Bis morgen.

Disclaimer:

Dieser Podcast ist ein virtueller Spaziergang und dient ausschließlich der Information und Inspiration. Die Inhalte stellen keine Psychotherapie, kein Coaching und keine professionelle Beratung dar und ersetzen diese auch nicht.

Alle hier formulierten Aussagen sind wissenschaftlich recherchiert. Die entsprechenden Referenzen und Quellen findest du im Anhang der Show Notes zu dieser Folge.

Ich übernehme keine Verantwortung für die Richtigkeit der wissenschaftlichen Aussagen oder deren Anwendung. Die Inhalte dieses Podcasts sind nicht als Anleitung zu verstehen, etwas Bestimmtes zu tun, sondern dienen rein der Inspiration und Anregung zum Nachdenken.

Bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen wende dich bitte an entsprechende Fachkräfte oder Beratungsstellen.

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