Konflikte 2. Verursache ich selber meine Konflikte?

Shownotes

Spaziergang 53: Konflikte 2. Verursache ich selber meine Konflikte?

Hallo und herzlich willkommen bei Walk & Talk mit Ida. Schön, dass du wieder dabei bist. Heute lade ich dich wieder hierher in mein Arbeitszimmer ein, und falls es wieder Hintergrundgeräusche gibt von Tieren oder Menschen, dann ist das diesmal meine Familie und Pauli. Wer weiß, vielleicht gibt es auch hier Tiergeräusche.

Es gibt ja ein paar Mitspaziergänger, die die sehr, sehr, sehr cool finden, und ich übrigens auch. Ich freue mich immer über Tiergeräusche. Mal schauen, ob man Pauli im Hintergrund nochmal hört. Ja, herzlich willkommen, und heute möchte ich das Thema Konflikte ein wenig weiter besprechen, denn ich glaube, das ist etwas, was wir ja irgendwie immer im Leben um uns haben, immer erleben.

Meine These vom letzten Mal war ja, dass Konflikte an sich nicht das Problem sind, dass Konflikte allgegenwärtig sind, einfach weil es immer unterschiedliche Interessen zwischen Menschen geben wird oder zwischen Menschen und Säbelzahntigern. Der eine hat Hunger, der andere möchte nicht gefressen werden, oder was auch immer. Und dass wir, wenn wir wirklich in uns ruhen, wenn wir ganz und gar voll sind mit Mitgefühl, mit Ruhe, mit Klarheit, mit Verbindung zwischen uns, mit einem Positiven, wenn wir wirklich ganz und gar in uns, in unserem Selbst ruhen würden, dann würden wir die Konflikte alle schnell und gut lösen und zu unser aller Positiven. Wir würden da neue Möglichkeiten finden und so weiter.

Was ist dann aber der Grund, dass Konflikte so oft eskalieren? Weil wenn wir tatsächlich einfach Interessenkonflikte hätten und die zu unserer allerbesten lösen, dann würden wir ja nie in die Situation kommen, dass wir uns wirklich streiten, dass wir uns anschreien, dass wir uns nachher fragen, was das alles soll, dass wir vielleicht auch passiv-aggressiv sind. All diese Dinge, die man so aus dem täglichen Leben kennt. Ob das mit dem Ehepartner ist, mit den Kindern, mit den Eltern, mit dem Chef, mit dem Team, mit den Kollegen, wo auch immer her, oder wie es auch in größerer Art in Kriegen und Konflikten ist, die hier auf der Welt herrschen. Unglaublich viel negativer Konflikt sage ich mal, der auch ganz, ganz viel zerstören kann. Aber wo kommt der denn dann eigentlich her?

Das möchte ich gerne nochmal zurückführen auf das System der inneren Familie von Richard Schwartz, einfach weil es mir immer unglaublich hilft, Dinge zu verstehen. In seinem System der inneren Familie – Richard Schwartz ist ein Psychotherapeut aus den USA und er hat dieses System entwickelt, was mittlerweile gerade in den USA unglaublich viel eingesetzt wird und für mich einfach sehr, sehr verständlich ist.

In seinem System gibt es das Selbst. Das ist einfach Qualitäten. Im Buddhismus würde man es die Buddha-Natur nennen, hier in Europa vielleicht die Seele in der christlichen Religion. Und diese Idee der Seele, die ist kein Teil, sondern die ist einfach das, was da ist in uns, und die wird gekennzeichnet von den Qualitäten, die ich vorhin schon genannt habe, von Mitgefühl, von Ruhe, von Neugierde, von Mut, aber auch von Verbundenheit und noch einigen mehr.

Zusätzlich haben wir ganz, ganz viele Teile, und ich sage absichtlich ganz viele, denn das ist ein ganz großer Blumenstrauß. Das sind nicht nur zwei oder drei, sondern er geht davon aus, dass wir ganz viele Teile haben und dass die meisten unserer Teile völlig gesund und intakt sind und uns jeden Tag helfen, unser tägliches Leben zu meistern, ganz tolle Dinge zu machen. Es gibt aber auch Teile, die uns den großen Gefallen getan haben, als wir in einer schwierigen Situation waren, diese Erinnerung, dieses Trauma auf sich zu nehmen. Und diese Teile nennt er Exiles oder auf Deutsch Verstoßene.

Und weil diese verstoßenen Teile sehr reaktiv sein können, uns sehr, sehr belasten können, gibt es wieder andere Teile, die die Aufgabe unseres Beschützers übernommen haben. Das können Teile sein, die als Manager unser Leben managen, damit diese verstoßenen Teile überhaupt nicht zum Vorschein kommen, oder es sind Teile, die eine Art Feuerwehr, eine Feuerbekämpferfunktion haben. Das heißt, in dem Moment, dass uns alles zu viel wird, dass diese verstoßenen Teile nach oben kommen, dann greift der Brandbekämpfer ein und kümmert sich darum. Dabei sind diese Teile häufig noch in kindlichen Situationen und sind nicht unbedingt praktisch für unser heutiges Leben.

Ein Teil, der irgendwann mal etwas Gutes für uns getan hat – stell dir vor, du wurdest als kleines Kind irgendwann von deiner Mama geschimpft, dass du immer alles rumliegen lässt, dass du nicht gut genug aufräumst, obwohl du doch eigentlich ein unglaublich kreatives Kind warst und das genossen hast, Dinge zu basteln und zu machen. Aber deiner Mama hat das nicht gefallen, und aus ihrer Perspektive war das falsch. Warum auch immer, brauchen wir jetzt nicht darauf einzugehen. Und daraufhin hast du eben auch so einen Manager entwickelt, der dafür sorgt, dass du ein unglaublich akkurates, angepasstes Kind wirst. Das sind nur Beispiele, davon gibt es hunderttausend andere.

Und immer dann, wenn trotzdem dieser verstoßene Teil sich meldet oder dir alles zu viel wird, hast du zum Beispiel auch noch einen Brandbekämpfer, der dann sagt: "Ach komm, nimm doch mal eine Flasche Wein, dann geht es dir nachher besser." Das heißt, du hast schon mal mindestens drei Teile von dieser fiktiven Person kennengelernt. Und wir nennen diese Person auch mal den Akkuraten, denn im alltäglichen Leben ist er irrsinnig akkurat. Und jetzt arbeitet er zum Beispiel als Softwareentwickler in einer Firma und ist so ein ganz Akkurater, der die Sachen ganz ordentlich macht, seine Post-its immer schön ordentlich dran klebt, fast schon pedantisch. Aber er ist ein sehr guter Mitarbeiter, er ist sehr intelligent, er ist sehr aufgeräumt, er macht sehr gute Sachen, guten Code.

Und dann kriegen die einen neuen UX-Designer im Team. Agiles Team. Jeder hat so seine Aufgabe. Er ist Backend-Developer und der Neue, der ist UX-Designer. Und dieser UX-Designer, der ist unglaublich kreativ. Vielleicht erinnerst du dich dran – der Akkurate war als Kind auch unglaublich kreativ, hat das aber durch das, was er erlebt hat und das, was sich bei ihm als Manager eingestellt hat, komplett abgelegt.

Diese zweite fiktive Person, ich nenne ihn mal den Kreativen, der kommt jetzt hin, hat unglaublich viele tolle Ideen, ist auch ein ganz toller Mitarbeiter, ist auch ein total toller Teamkollege, genau wie übrigens der Akkurate, der bis jetzt im Team immer seine Rolle hatte, der immer seinen Weg gefunden hat, der unglaublich hilfsbereit ist. Das sind beides tolle Menschen. Jemand, der die beiden kennt, würde niemals denken, dass die – dass die einzeln zumindest – unglaubliche Konfliktmenschen sind.

Jetzt treffen die aber aufeinander, und da reicht dann vielleicht ein kleiner Interessenunterschied über die Post-its, die da krumm und schief auf die Tafel geklebt werden. Ich sag mal was – es entfacht am Ende ein vielleicht fachlich getriebener Streit, der vielleicht gar nicht fachlich ist, sondern damit zu tun hat, dass der Akkurate mit dieser kreativen Bildführung da an dem Whiteboard nicht zurechtkommt. Kann sein. Und wahrscheinlich reagiert der Kreative durch seine Teile getriggert auch stark auf den Akkuraten. Vielleicht hat er so oft von Menschen gesagt gekriegt, du bist nicht gut genug, lebt das aber trotzdem immer noch aus, seine kreative Ader.

Gesagt, das ist alles fiktiv. Worauf ich hinaus will, ist dir zu sagen: Dadurch, dass in den Menschen ein Konflikt herrscht – der Akkurate will gar nicht immer nur akkurat sein. Der ist nicht glücklich damit, dass seine verschiedenen Teile sich auch noch gegenseitig bekämpfen. Der eher kreative verstoßene Teil, der will eigentlich raus, der will eigentlich selber wieder kreativ sein. Der Manager-Teil hat unglaublich Angst, Ärger zu kriegen, wenn dieser Kreative da unten wieder raus darf. Und der, dem das alles zu viel wird und der dann zur Flasche greift, auf den ist der Manager natürlich auch tierisch sauer, weil in dem Moment, dass er zur Flasche greift und der Alkohol wirkt, dann wird er vielleicht auch wieder ein bisschen kreativer oder er macht Sachen, die nicht unglaublich akkurat sind. Das heißt, da herrscht ein tierischer Kampf in diesem Menschen. Und genauso herrscht ein Kampf in dem kreativen Menschen, aus welchen Gründen auch immer. In uns allen herrschen die verschiedensten Konflikte.

Aber das Aufbrennen, dass das ein richtiger Streit wird zwischen den beiden, das ist normalerweise eben begründet durch diese inneren Konflikte, die die Leute schon in sich haben. Wie gesagt, würden beide komplett in ihrer Ruhe sein, in ihrem Mitgefühl, in ihrer ehrlichen Neugierde für den anderen, in ihrem Mut, auch auf den anderen zuzugehen, in ihrer Klarheit über sich und über die Situation, dann würde die Frage, ob die Post-its gerade geklebt werden müssen oder schief, entweder gar nicht aufkommen, oder es wäre tatsächlich ein Interessenskonflikt und die beiden würden eine gute Lösung für beide Seiten finden. Das wäre das, und dann wäre es gar kein Streit.

Ich glaube, dass immer dann, wenn etwas in Streit ausbricht, es am Ende die internen Konflikte sind, die uns überhaupt in die Situation bringen. So, und dann können wir mal schauen, ob das Ganze auch auf eine größere Gruppe anwendbar ist. Das machen wir aber nicht mehr heute. Und können uns auch anschauen, inwieweit zum Beispiel Gruppenkonflikte zwischen Teams und ähnlichem auf eine ähnliche Dynamik zurückzuführen sind.

Und du kannst dir schon vorstellen, dass ich dich jetzt natürlich fragen werde: Wann hast du schon mal in deinem Leben gemerkt, wenn du in einem Streit bist oder vielleicht wenn du drüber reflektierst – da ist die Chance größer, dass es dir dann auch auffällt – dass der Streit unter anderem deshalb so groß geworden ist, dass es überhaupt zum Streit gekommen ist, statt dass es einfach eine kleine, vielleicht völlig simple Interessensunterschied war, weil in dir was getriggert wurde? Dass du gar nicht auf den Interessenskonflikt, der da vor dir lag, reagiert hast, sondern einen Kampf ausgeführt hast, einen Krieg ausgeführt hast, einen Streit ausgeführt hast, der schon ganz lange in dir herrscht und der vielleicht durch dich selber getriggert wird.

Ja, mal gucken, ob dir das bei dir selber auffällt. Ich muss sagen, seit ich mich mit dem System der inneren Familie beschäftige, fällt mir das bei mir sehr oft auf. Heißt das gleich, ich kann das lösen? Nein. Ich habe auch genug Konfliktsituationen, die mir schon ganz oft seitdem passiert sind und wo ich immer wieder denke: Yes, hätte ich vermeiden können, wenn meine Teile nicht so reaktiv gewesen wären in dem Moment und meine Handlung nicht übernommen hätten. Aber mich stachelt es nur im Positiven an, mit diesen Teilen zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass da Ruhe einkehrt und Frieden einkehrt in mein eigenes System, dass alle Teile ganz tolle Aufgaben machen können, statt sich gegenseitig zu bekämpfen.

Und mit diesem hoffnungsvollen Gedanken hoffe ich, dass ich dir auch weiterhelfen kann. Du bekommst von mir in den Shownotes nochmal das Buch von William Ury, "Possible", und gleichzeitig auch das Buch von Richard Schwartz, "No Bad Parts", auch in der deutschen Übersetzung. Denn ich glaube, dass wenn man genau die Ideen aus diesen Büchern zusammenführt, dann kommt man auf das, was ich dir gerade erzählt habe.

Ich wünsche dir noch einen wunderschönen Tag und freue mich, beim nächsten Mal wieder mit dir spazieren zu gehen. Mach's gut!

Literatur:

Ury, W. (2024). Possible: How we survive (and thrive) in an age of conflict. HarperCollins.

Schwartz, R. C., & IFS-Europe e. V. (2024). Das System der Inneren Familie: Einführung in die IFS-Therapie – Ein Weg zu mehr Selbstführung (Erw. Neuausg.). München: Kösel-Verlag.

Schwartz, R. C., & Morissette, A. (2022). Kein Teil von mir ist schlecht: Mit dem Modell des inneren Familiensystems (IFS) Trauma heilen und zur Ganzheit zurückfinden. München: Kösel-Verlag.

Disclaimer:

Dieser Podcast ist ein virtueller Spaziergang und dient ausschließlich der Information und Inspiration. Die Inhalte stellen keine Psychotherapie, kein Coaching und keine professionelle Beratung dar und ersetzen diese auch nicht.

Alle hier formulierten Aussagen sind wissenschaftlich recherchiert. Die entsprechenden Referenzen und Quellen findest du im Anhang der Show Notes zu dieser Folge.

Ich übernehme keine Verantwortung für die Richtigkeit der wissenschaftlichen Aussagen oder deren Anwendung. Die Inhalte dieses Podcasts sind nicht als Anleitung zu verstehen, etwas Bestimmtes zu tun, sondern dienen rein der Inspiration und Anregung zum Nachdenken.

Bei gesundheitlichen oder psychischen Problemen wende dich bitte an entsprechende Fachkräfte oder Beratungsstellen.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.